Diabetes- Ängste gemeinsam Bewältigen
Herzklopfen, Schwitzen, weiche Knie, Stimmungsschwankungen, Konzentrationsstörungen - welcher Mensch erlebt so etwas schon gerne? Wenn beim Fußballspiel der Ball daneben geht, weil der Blutzucker im Keller ist oder der neue Freund nach dem Disco-Besuch nicht versteht, warum man plötzlich so aggressiv ist, dann beeinflussen Diabetes und Unterzuckerung ganz konkret das Lebensgefühl von jungen Menschen mit Diabetes.
Schon so mancher Kindergarten hat sich geweigert, weiter ein Kind mit Diabetes zu betreuen, weil es beim Laternenumzug plötzlich umgekippt ist und die Feuerwehr kommen musste. Solche Situationen können die meisten Kinder und Jugendliche aus ihrem Alltag schildern. Unkenntnis der Umwelt über die Erkrankung und eigene Schuldgefühle über mögliches Fehlverhalten, das zur plötzlichen Unterzuckerung geführt hat, können rasch erhebliche psychologische Folgen nach sich ziehen, wenn dieses Ereignis nicht mit einem Diabetes-Team bearbeitet wird.
Ein Teufelskreis
Neurotisch geprägte Ängste vor schweren Hypoglykämien können bis zu psychiatrisch relevanten Angststörungen führen. Sie können Jugendliche betreffen, die einen Kontrollverlust in der Öffentlichkeit fürchten, aber auch Eltern von Kindern mit Diabetes. Eine solche ausgeprägte HypoglykämieAngst kann zu einem sozialen Rückzug führen, der die Lebensqualität von Kindern und Eltern erheblich einschränkt. Überzogene Ängste können bewusst oder unbewusst eine gezielte Unterdosierung des Insulins bewirken und sind nach der Erfahrung von Kinderdiabetologen ein häufiger Grund für eine schlechte Stoffwechseleinstellung. Andererseits sieht man auch immer wieder besonders ängstliche Eltern, die mehrfach in der Nacht bei ihren Kindern Blutzuckerkontrollen durchführen.
Alle Eltern, deren Kinder einmal einen Krampfanfall gehabt haben - sei es wegen einer schweren Unterzuckerung bei Diabetes oder als Folge hohen Fiebers im Kleinkindesalter - haben die existenzielle Angst durchlebt, dass ihr Kind stirbt. Für einen medizinisch nicht vorgebildeten Laien sieht ein Krampfanfall mit Blässe, blauen Lippen, Bewusstlosigkeit und Zuckungen aus wie ein schrecklicher, bedrohlicher Zustand, der nicht ohne Folgen bleiben kann. Trotz der Tatsache, dass die Kinder bald darauf wieder "voll da" sind und außer ein bisschen Kopfschmerzen in den meisten Fällen nichts mehr danach zu spüren ist, können viele Eltern nur schwer die Gelassenheit im Umgang mit der Erkrankung wiedergewinnen.
Gelassenheit bewahren
Um die Hypoglykämie-Ängste von Müttern von Kindern mit Diabetes näher zu untersuchen, wurden in Amerika 46 Mütter von durchschnittlich acht Jahre alten Kindern mit Diabetes mittels eines psychologischen Fragebogens befragt. Ein Drittel dieser Familien - die Kinder hatten zu diesem Zeitpunkt ungefähr drei Jahre Diabetes - hatte bereits eine Episode mit Bewusstlosigkeit bei ihrem Kind erlebt, deutlich häufiger als hierzulande davon berichtet wird. Dabei zeigte sich kein Zusammenhang zwischen der Hypoglykämie-Angst der Mütter und der Gesamtanzahl aller leichten, mittleren und schweren Unterzuckerungen bei den Kindern. Vielmehr kam es darauf an, wie belastend die Mütter einzelne Hypoglykämien erlebt hatten. Auch hatte die Einschätzung der Mutter, wie gut sie bei ihrem Kind eine Unterzuckerung erkennen kann oder wie sicher sie in der Behandlung eines niedrigen Blutzuckers ist, keinen Einfluss auf die Angst. Erwartungsgemäß waren die Ängste bei den Müttern besonders groß, deren Kind eine Bewusstlosigkeit während einer Unterzuckerung erlebt hatte. Die Befürchtungen der Mütter waren dabei größer, wenn schwere Unterzuckerungen auftraten, während sie von ihrem Kind entfernt waren, also während des Schlafs oder außerhalb der häuslichen Umgebung. Vergleicht man dabei die Ausprägung der Hypoglykämie-Ängste der Mütter mit denen, die bei erwachsenen Patienten mit Diabetes vorliegen, so war das Angstniveau bei den Müttern deutlich höher.
Ängste sind unbegründet
Leider ist das Risiko für schwere Unterzuckerungen gerade im Kleinkindesalter deutlich größer als später im Leben. Nach den Ergebnissen einer der größten internationalen Kinderdiabetes-Studien, der Hvidøre-Studie, in der die Behandlungsdaten von fast 3.000 Kindern und Jugendlichen mit Diabetes aus 17 Ländern ausgewertet wurden, kamen in der Gruppe der unter Vierjährigen 60 Fälle von schwerer Unterzuckerung mit Bewusstlosigkeit oder Krampfanfall pro 100 Patientenjahre vor, das heißt, fast sechs mal so viel wie in der Gruppe der 16- bis 18-Jährigen.
Aber wie berechtigt ist denn nun die Angst dieser Eltern, dass ihr Kind während einer Unterzuckerung in der Nacht stirbt und morgens tot im Bett liegt? Die Antwort lautet: Sie ist unbegründet! Es gibt tatsächlich Beschreibungen, dass Menschen mit Diabetes, die am Tag zuvor noch ganz gesund erschienen, am nächsten Morgen tot aufgefunden wurden, und für deren Tod sich keine offensichtliche Ursache finden lässt. Natürlich wird dann die Möglichkeit einer langdauernden nächtlichen Hypoglykämie als Ursache in Erwägung gezogen, zumal sich nachträglich diese nicht mehr eindeutig belegen oder widerlegen lässt. Aber trotz der hohen Rate auch nächtlicher Unterzuckerungen bei Kleinkindern, sind solche Todesfälle im Kleinkindesalter während
der Nachtstunden ("dead-in-bed-Syndrom") nie beschrieben worden.
Das Erlebnis einer schweren Hypoglykämie mit Bewusstlosigkeit und Krämpfen ist also für viele Familien ein traumatisches Erlebnis. Damit das Leben mit Diabetes dennoch möglichst unbelastet weitergehen kann, sind sowohl Hilfen zur emotionalen Verarbeitung des Ereignisses und zum Abbau von Schuldgefühlen als auch pragmatische Information zur Vermeidung weiterer schwerer Unterzuckerungen von großer Bedeutung. Wenden Sie sich daher immer an ihr Betreuungsteam, wenn solche Ereignisse vorgekommen sind. Nehmen Sie sich vor, mit einem bisschen Abstand zu dem Ereignis gemeinsam noch einmal Rückschau zu halten, was sich seit der schweren Unterzuckerung an dem Umgang mit dem Diabetes in der Familie geändert hat. Und sollte der Eindruck entstehen, dass sich aus diesem Erlebnis eine neurotisch geprägte Verhaltensweise entwickelt hat, sollte man lieber früher als später auf die professionelle Hilfe eines Psychologen oder Psychiaters zurückgreifen. Angststörungen sind gut behandelbar, insbesondere wenn sie noch nicht in lange eingefahrenen Bahnen ablaufen und deswegen noch nicht zu Rückzug und Isolation geführt haben.
Richtig reagieren heißt vorsorgen
Wie kann man nun mit solchen Ängsten umgehen? Zunächst ist es natürlich wichtig, dass man selbst ausreichend informiert und geschult ist, die individuellen Zeichen einer Unterzuckerung zu erkennen und richtig darauf zu reagieren. Anerkannte Schulungs- und Behandlungszentren für Kinder und Jugendliche mit Diabetes verfügen über große Erfahrung, dieses Wissen Patienten und ihren Familien zu vermitteln. Aber auch andere aus dem persönlichen Umfeld außerhalb der Familie zu informieren ist wichtig! Vielleicht möchten Kinder und Jugendliche nicht jedem von ihrem Diabetes erzählen, aber ihre besten Freunde sollten schon Bescheid wissen. Wichtig ist dabei, dass Freunde, Lehrer und Trainer genau wissen, was eine Unterzuckerung ist und wie sie helfen können. Je besser sie verstehen, worum es geht, umso normaler werden sie mit demjenigen umgehen. Schließlich muss man sich auch immer wieder klar machen, dass die meisten Menschen, die schon seit vielen Jahren Insulin spritzen, zwar häufig niedrige Werte gemessen haben, aber noch nie eine schwere Hypoglykämie erlebt haben. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass dieses auch bei den meisten Kindern und Jugendlichen mit Diabetes so sein wird - insbesondere, wenn sie lernen, auf Unterzuckerungszeichen zu achten und immer Traubenzucker oder andere schnellwirkende Kohlenhydrate bei sich zu haben.